Ausblick auf Höhepunkte und Hoffnungen für Fortschritte auf dem gemeinsamen Weg
GENF, Schweiz (LWI) – 2020 war für alle Kirchen ein schwieriges Jahr, insbesondere aber für jene, die sich für ökumenische Beziehungen engagieren, weil die persönliche und spontane Begegnung dafür „von so zentraler Bedeutung ist“.
Zum Abschluss der alljährlichen Gebetswoche für die Einheit von Christinnen und Christen blickt der Assistierende Generalsekretär für Ökumenische Beziehungen des Lutherischen Weltbundes (LWB), Dirk Lange, zurück auf ein Jahr „der Konsolidierung und des kritischen Nachdenkens“ und spricht über seine Hoffnungen für die nächsten Monate und die Herausforderungen.
Zu den Höhepunkten für das Jahr 2021 zählen die Erarbeitung eines ersten Studienleitfadens durch die fünf Unterzeichnerinnen der Gemeinsamen Erklärung zur Rechtfertigungslehre (GER), ein Bericht der internationalen lutherisch-pfingstkirchlichen Dialogkommission, die erste offizielle Begegnung mit Führungspersonen der Heilsarmee und – weil sich die Exkommunikation Martin Luthers in diesem Jahr zum 500. Mal jährt – ein „Gemeinsames Wort“ aus Genf und Rom, das den gemeinsamen Weg „vom Konflikt zur Gemeinschaft“ nachzeichnet.
Haben Sie und der LWB sich gut auf die Schwierigkeiten einstellen können, die die Corona-Pandemie mit sich gebracht hat?
Wir haben versucht, realistisch zu sein und uns auf die Arbeit zu konzentrieren, die auch ohne persönliche Treffen erledigt werden kann. Wir wollten unser ökumenisches Engagement auf keinen Fall einschlafen lassen, wollten konsolidieren und neue Grundlagen schaffen für den Zeitpunkt, zu dem wir wieder zu persönlichen Treffen zusammenkommen können.
Wir haben die Zeit außerdem genutzt, um kritisch darüber nachzudenken, wie wir den interpretativen Rahmen für unsere Aktivitäten ausweiten können. Unser Zeugnis ist in einer großherzigen Bekenntnistradition verwurzelt, deren Kern in dem Ausspruch „lutherisch sein bedeutet, ökumenisch zu sein“ sehr schön auf den Punkt gebracht wird. Was aber bedeutet das in der Praxis? Wie können wir unsere Modelle für den ökumenischen Dialog dahingehend ausbauen, dass sie auch zu der globalen Lebensrealität der Kirche und ihren vielfältigen pastoralen und gesellschaftlichen Herausforderungen in der aktuellen Zeit passen?
An welcher Stelle erhoffen Sie sich im vor uns liegenden Jahr deutliche Fortschritte?
Es ist schwierig, da ein einzelnes Beispiel herauszugreifen, weil jede einzelne Veranstaltung ihren ganz eigenen Beitrag zur Erreichung des übergeordneten Ziels der Ökumene leistet. Eine zentrale Frage ist die Frage der Rezeption: Auch wenn zu wichtigen Lehrfragen Einvernehmen erzielt werden konnte, konnte die kirchliche Einheit in vielen Fällen bisher nicht erreicht werden. Es müssen also Brücken gebaut werden zwischen den gefundenen Übereinkommen zu Lehrfragen und deren Umsetzung oder Rezeption. Unter dem Oberthema Rezeption hat zum Beispiel die Anglikanisch-Lutherische Kommission für Einheit und Mission (ALICUM) ihre Arbeit aufgenommen, zum ersten Mal getagt und den Prozess angestoßen, mithilfe dessen Weltregionen ausgewählt werden sollen, auf die wir unsere Arbeit für eine engere Zusammenarbeit konzentrieren wollen.
Ein weiterer Schwerpunkt wird sein, die Gemeinsame Erklärung zur Rechtfertigungslehre weiterzuentwickeln, auszuweiten, zu kontextualisieren und umzusetzen. Die fünf Ökumene-Referenten (der anglikanischen, katholischen, lutherischen, methodistischen und reformierten Glaubensgemeinschaften) haben regelmäßig getagt, um zu erörtern, wie diese neue Form der multilateralen Zusammenarbeit im öffentlichen Raum aussehen kann und soll. Wo jetzt alle Übersetzungen der GER und der Begleitdokumente zur Verfügung stehen – einschließlich der italienischen Übersetzung – wird unser nächster Schritt sein, einen Studienleitfaden zu erarbeiten, der die Ortsgemeinden dabei unterstützen soll, die Früchte dieses Dokuments zu ernten. Wir denken zudem darüber nach, gemeinsam liturgisches Material zu erarbeiten, und hoffen, dass wir bis zur Gebetswoche für die Einheit von Christinnen und Christen im nächsten Jahr etwas vorlegen können.
Für Sie steht demnächst auch ein Treffen mit Ihren orthodoxen Partnern an, nicht wahr?
Ja! Und wir sind sehr dankbar für den Dialog mit der östlich-orthodoxen Kirche. Nachdem das Treffen im letzten Jahr abgesagt werden musste, haben wir uns aktiv darum bemüht, das Feuer nicht erlöschen zu lassen, bis wir wieder persönlich zusammenkommen können. Schwerpunkt unseres Dialogs insgesamt ist der Heilige Geist. Bei unserer für März geplanten Online-Tagung werden wir uns dem Segen als Werk des Heiligen Geistes in dieser schwierigen Zeit widmen.
In diesem Jahr jährt sich die Exkommunikation Martin Luthers zum 500. Mal. Erzählen Sie uns doch bitte kurz, was Sie geplant haben, um daran zu erinnern.
In dem vor uns liegenden Jahrzehnt gibt es eine ganze Reihe von Jahrestagen und Jubiläen im Zusammenhang mit der Reformation, die alle auf das 500-jährige Jubiläum der Confessio Augustana hinführen, unserer zentralen Bekenntnisschrift, die auch ein Aufruf zur Ökumene war. Wir sind heute gemeinsam auf dem Weg. Und wir legen den Schwerpunkt ganz bewusst nicht darauf, eine andere Geschichte zu erzählen, sondern, und so legt es auch das Dokument „Vom Konflikt zur Gemeinschaft“ dar, darauf, „diese Geschichte anders zu erzählen“.
Wenn COVID-19 es uns erlaubt, wird es in diesem Jahr einen ökumenischen Gottesdienst geben und der LWB und der Päpstliche Rat zur Förderung der Einheit der Christen werden Ende Juni zusammen ein „Gemeinsames Wort“ veröffentlichen. Ein Team von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern arbeitet bereits an den komplexen historischen, theologischen und kirchenrechtlichen Fragen in Bezug auf die Exkommunikation Martin Luthers und die anschließende Wahrnehmung Luthers trotz dieser Exkommunikation.
Viele Menschen hoffen, dass dieses Treffen im Juni mit Blick auf die Wahrnehmung Martin Luthers in der katholischen Welt einen entscheidenden Schritt nach vorne bedeuten wird – was sagen Sie diesen Menschen?
Wie bereits erläutert, verorten wir diesen wichtigen Jahrestag in einem breiteren ökumenischen Kontext. Der Dialog, den wir seit 50 Jahren führen, hat es uns ermöglicht, schmerzhafte Erfahrungen nicht als Stolpersteine oder Hindernisse zu betrachten, sondern als lehrreiche Erfahrungen. Die Verurteilungen der Vergangenheit bestimmen unser Handeln heute nicht mehr, das wird in der Gemeinsamen Erklärung zur Rechtfertigungslehre sehr deutlich formuliert.
Schon „Vom Konflikt zur Gemeinschaft“ hat ein neues Verständnis von Luther und seiner Wahrnehmung sowohl auf katholischer wie auf lutherischer Seite hinreichend dargelegt. Außerdem war dieses Dokument auch Grundlage für die gemeinsamen Feierlichkeiten zum Reformationsjubiläum in Lund, bei dem die lutherische und die katholische Seite ihren Dank formuliert haben für die Gaben, die sie erhalten haben und die sie durch die Reformation wiederentdeckt haben. Die Chance und gleichzeitig die Herausforderung, die im Moment vor uns liegt, ist es, unser Engagement und unsere Verpflichtung in den kommenden Jahren durch gemeinsamen Dienst und gemeinsame Verkündigung zu vertiefen.
Es stehen auch einige neue ökumenische Aufgaben auf Ihrer Tagesordnung, zum Beispiel das Treffen mit Führungspersonen der Heilsarmee?
Ja, LWB-Generalsekretär Martin Junge und ich werden Anfang Februar zu einem digitalen Treffen mit dem General und dem Ökumene-Beauftragten der Heilsarmee zusammenkommen. Wir freuen uns über die Gespräche mit ihnen, auch weil ein geplantes Treffen im vergangenen Jahr aufgrund der Corona-Pandemie abgesagt werden musste. Auf der Tagung der Weltweiten christlichen Gemeinschaften im vergangenen Herbst waren wir alle sehr dankbar für das Zeugnis der Heilsarmee und die Art und Weise, wie sie sich weiterhin für die ärmsten Menschen einsetzen und engagieren, die infolge der Pandemie alle Einkommensquellen und Jobs verloren haben.
Ein weiteres wichtiges Ergebnis, auf das Sie sich freuen, ist der Abschlussbericht des Dialogs mit den Pfingstkirchen – können Sie dazu ein paar Worte sagen?
Gerne. Dieser Dialog war einzigartig, weil er versucht hat, die verschiedenen kontextabhängigen kirchlichen Realitäten in den Ländern einzubeziehen, in denen die Dialoggruppe in den letzten fünf Jahren jeweils getagt hat. Wir haben uns das Zeugnis von lutherischen Kirchen und Pfingstkirchen auf den Philippinen, in Deutschland, Chile und Madagaskar angehört. Das Redaktionsteam für den Abschlussbericht hat diese Erfahrungen neben den theologischen Reflexionen als zentrales Element in den Bericht aufgenommen und wir hoffen, dass unser abschließendes Treffen zum Ende des Jahres in Kalifornien tatsächlich stattfinden kann.
Sie sehen für das vor uns liegende Jahr 2021 also wirklich einen Hoffnungsschimmer am Horizont?
Auf jeden Fall! Und zum Abschluss möchte ich auch noch den trilateralen Dialog mit unseren katholischen und mennonitischen Partnern erwähnen, der ein wunderbares Beispiel für die Fortschritte in Bezug auf das Thema Rezeption ist. In dem Bericht zu den trilateralen Gesprächen mit dem Titel „Die Taufe und die Eingliederung in den Leib Christi, die Kirche“, der gerade im Mennonite Quarterly Review (Ausgabe Januar 2021) veröffentlicht wurde, verpflichten sich alle Gesprächspartner dazu, über die „Überzeugungen, zu denen wir stehen“, die „Gaben, die wir erhalten haben“ und die „Herausforderungen, denen wir uns stellen“ nachzudenken und die jeweils aus der Geschichte heraus angenommenen Positionen und Standpunkte zu überdenken. Für uns Lutheranerinnen und Lutheraner bedeutet das, über den Status von nicht getauften Kindern nachzudenken, wie er in der Confessio Augustana dargelegt ist
Darüber hinaus macht mir die GER und alles, was damit zusammenhängt, wirklich Hoffnung. Wir untersuchen dort gemeinsam, wie wir kommunizieren können, was Rechtfertigung wirklich bedeutet, was das Evangelium von Jesus Christus für die Gesellschaft von heute bedeutet. Das ist eine immense Aufgabe und Herausforderung, aber gleichzeitig für alle Christinnen und Christen auch eine aufregende!