Botschaft zu Karfreitag 2024
Martin Luther beschreibt Gott in seinem Großen Katechismus als einen „freundlichen Vater, der für uns sorgt, dass uns kein Leid widerfahre“. Der Glaube, dass wir von einem gütigen Gott geschaffen wurden, der für uns sorgt, passt für uns, wenn alles gut läuft und wir uns tatsächlich geliebt und behütet fühlen. Wenn das aber einmal nicht der Fall ist, fangen wir an wir, unser Verständnis von Gott in Frage zu stellen. Wenn Leid und Elend unser Leben bestimmen, dann neigen wir dazu, an unserem Gottesbild zu zweifeln, und fragen – Wo ist mein Gott? Und wer ist mein Gott?
Traumatische Erfahrungen, etwa aufgrund von Gewalt oder schweren Krankheiten, führen oftmals dazu, dass wir uns grundlegende Fragen zu unserem Glauben stellen, auch zu Gottes Liebe zu uns. Im Alten Testament und insbesondere in den Psalmen gibt es viele Klagegebete, in denen Einzelpersonen oder Gruppen ihrem Schmerz, ihrer Wut und ihrer Verlassenheit Ausdruck verleihen. Klagegebete sind zugleich Hilfeschreie und Glaubenszeugnis. Die Menschen oder Gruppen wenden sich an Gott, weil sie überzeugt sind, dass von ihm Hilfe kommen kann. Gleichzeitig beklagen sie jedoch Gottes Abwesenheit und Schweigen. Sie bitten um Hilfe und finden gleichzeitig Worte für das erfahrene Leid.
Psalm 22 ist ein allgemein bekanntes Klagegebet, nicht zuletzt, weil es der sterbende Jesus im Matthäus- und Markusevangelium am Kreuz spricht. Am Anfang des Psalms klagt die sprechende Person Gott an, weit weg zu sein und weder Hilfe zu leisten noch den verzweifelten Schrei nach Hilfe und Einschreiten zu erhören.
Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen?
Ich schreie, aber meine Hilfe ist ferne.
Mein Gott, des Tages rufe ich, doch antwortest du nicht,
und des Nachts, doch finde ich keine Ruhe.
(Psalm 22,2-3)
Wenn wir Leid und Not erfahren und Gott schweigt und abwesend ist, statt zu helfen und Trost zu spenden, ist es wichtig, dass die betroffenen Menschen das Gefühl haben, ihren Schmerz und ihre Verzweiflung auch ausdrücken zu dürfen. Durch Klagen können sich Leidende für Gottes Hilfe öffnen und sich gleichzeitig eingestehen, dass man sich nicht selbst erlösen kann.
In der Karwoche sind wir eingeladen, über die Leidensgeschichte Jesu und die Frage nachzudenken, welche Botschaft sie uns in der heutigen Zeit vermittelt. Die Tatsache, dass sich Jesus am Kreuz von Gott verlassen fühlte, ist Zeugnis für sein zutiefst menschliches Erleben von Verzweiflung und der Angst, in diesem aussichtslosen Moment vollkommen allein gelassen zu sein. Was wir von diesem Zeugnis lernen können, ist, dass sich Jesus in Zeiten großer Verzweiflung und Hoffnungslosigkeit wahrhaftig mit uns identifiziert. Wir brauchen also keine Angst haben, unsere Stimme zu erheben, und dürfen laut klagen, wenn wir uns von Gott verlassen fühlen. Damit zeigen wir unsere Hilflosigkeit und dass wir von Gott erlöst werden müssen, zeigen aber gleichzeitig auch unser Vertrauen auf Gott, der in allen Lebenslagen für uns sorgt.
Von Pfarrerin Dr. Arnfríður Guðmundsdóttir, LWB-Vizepräsidentin für die Region Nordische Länder. Sie ist ordinierte Pastorin der Evangelisch-Lutherischen Kirche Islands und Theologieprofessorin an der Universität Island.
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