Hilfsgüter für Menschen in Gorkha, Dahding, Kavrepalanchok und Sindhupalchowk
Kathmandu (Nepal)/Genf, 6. Mai 2015 (LWI) – Der Lutherische Weltbund (LWB) weitet seine Nothilfe für Überlebende des Erdbebens ausserhalb des Kathmandutals aus. Nachdem die städtischen und auch abgelegene ländliche Gebiete in den Bezirken Kathmandu, Bhaktapur und Lalitpur bereits Hilfslieferungen erhalten haben, beginnt die Verteilung von Hilfsgütern nun in den Bezirken Sindhupalchowk, Gorkha, Lamjung und Dahding.
Seit dem katastrophalen Erdbeben mit einer Stärke von 7,9 auf der Richterskala war Sindhupalchowk in Nepal in den Schlagzeilen. In diesem Bezirk gab es die meisten Verletzten, deren Zahl sogar noch höher lag als in den schwer betroffenen Gebieten im Kathmandutal. Gorkha, wo das Epizentrum des Bebens lag, soll sogar noch stärker zerstört sein. Viele Gemeinden sind aufgrund von Erdrutschen und schlechten oder beschädigten Strassen nur schwer zu erreichen. Hilfslieferungen müssen von in- und ausländischen Militärhubschraubern auf dem Luftweg befördert und über den betroffenen Gebieten abgeworfen werden.
In Gorkha wird der LWB in der Gegend um Barpak in der Nähe des Epizentrums des Erdbebens Hilfe leisten. Aufgrund einer raschen Schadenseinschätzung in den Gemeinden Jhingate und Chanapani vergangene Woche konnten sich LWB-Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter einen Eindruck verschaffen, welche Hilfsmassnahmen benötigt werden. Obwohl diese beiden Gemeinden weiter vom Epizentrum entfernt liegen, sind dort mehr als 80 % der Häuser beschädigt und viele davon vollständig eingestürzt.
Mehr als 80 Prozent Zerstörung
Vergangene Woche reiste ein Team in die betroffenen Gebiete, um sich ein Bild von den entstandenen Schäden zu machen und zu evaluieren, welche Art der Unterstützung benötigt wird.
Für den Weg von Kathmandu nach Jhingate benötigt man auf den schmalen, unasphaltierten Strassen mehr als einen halben Tag. Auf dem Weg dorthin kam das LWB-Team an zwei Lastwagen mit Hilfsgütern vorbei, die im Schlamm stecken geblieben waren. Viele Gemeinden sind gar nicht auf dem Landweg erreichbar. Die Menschen nehmen einen viele Stunden dauernden Fussmarsch auf sich, um zu den wenigen Ausgabepunkten zu gelangen, an denen sie eine Abdeckplane oder eine Matratze bekommen, die sie dann zu ihren obdachlos gewordenen Familien zurück tragen. „Bisher war noch niemand hier, um zu helfen“, sagt eine Frau.
„Wir arbeiteten auf dem Feld und hatten die kleinen Kinder bei ihrer Grossmutter zurückgelassen“, sagt Saida, eine junge Mutter. „Meine Schwiegermutter war gerade beim Kochen, als das Erdbeben begann. Die Kinder wussten nicht, was das war, doch sie bekamen Angst und liefen ins Freie.“ Die ältere Frau war nicht in der Lage, rechtzeitig nach draussen zu kommen. Das Haus stürzte über ihr zusammen. „Als wir ihren Körper fanden, hielt sie immer noch den Kochlöffel in der Hand“, fügt Saida hinzu.
Während sie spricht, klettert ein älterer Mann auf die Trümmer seines Hauses, breitet einen Schal aus, wo früher der Innenhof war, und spricht sein Gebet. Er heisst Ahlad Bakos, ist der Besitzer des Hauses und der Ehemann der Frau, die dort ums Leben kam. Er hat Tränen in den Augen. Ahlad Bakos hat nicht nur seine Frau verloren, sondern auch eine Kuh und sechs Ziegen – alles, was seines Familie besass. Sein Haus ist das erste in einer Reihe von Gebäuden, von denen nur noch ein Berg aus Ziegeln und Holz existiert.
Schutzlose Gemeinden
Die schutzlosesten Gemeinden sind auch diejenigen, die am stärksten vom Erdbeben betroffen sind. Oft sind die Häuser, die aus billigen Lehmziegeln gebaut sind und die am Hang liegen am schlimmsten beschädigt. Zwei Stunden Fahrt von Saidas und Ahlad Bakos Dorf Jhingate entfernt gibt die Gemeinde Chanapani ein ähnliches Bild ab: Die Häuser weiter oben am Hang stehen zwar noch, sind jedoch beschädigt; die weiter unten gelegenen sind praktisch zu Staub zerfallen. „Wir hatten sehr wenig, und das wenige, was wir hatten, ist nun auch noch weg“, sagt ein Dorfältester.
Chanapani ist eine Dalit-Gemeinde. Die Menschen, die dort leben, gehören der untersten Hindu-Kaste an. Obwohl in den meisten nepalesischen Bezirken das Kastensystem mit den ihm innewohnenden Diskriminierungen als offiziell abgeschafft gilt, besteht es insbesondere in abgelegenen ländlichen Gebieten inoffiziell weiter und führt zu Armut und Schutzlosigkeit. Viele Menschen in Chanapani arbeiteten als Tagelöhner. Nach der Erdbebenkatastrophe stellt sie niemand mehr ein, da selbst wohlhabende Leute kein Geld mehr übrig haben. Niemand aus dem Dorf hat Verwandte, die im Ausland arbeiten. Auch die sanitäre Grundversorgung ist ein Problem: Die einzige Toilette liegt 10 Minuten Fussmarsch entfernt. Drei bis vier Familien drängen sich unter einer Abdeckplane zusammen, die nationalen Streitkräfte versorgen die Menschen mit zwei Gläsern gestampftem Reis pro Tag – weniger als ein Kilo.
„Wir hatten so ein Glück, das wir draussen waren, als es passierte“, sagt Songam Roka. „Es war Essenszeit, daher waren die Kinder bei uns. So konnten wir sie schützen.“ Die Tatsache, dass das Erdbeben an einem Samstagnachmittag passierte, rettete viele Leben. Viele Menschen arbeiteten auf ihren Feldern, als ihre Häuser einstürzen. „Wir hatten Glück, dass es kein Schultag war“, sagt Babu Ram Pande, ein Dorflehrer, und zeigt auf das schwer beschädigte Gebäude der Shree Saraswati-Sekundarschule in Chanapani. „Wir hätten keine Möglichkeit gehabt, die Kinder schnell genug aus dem Gebäude zu bekommen.“
Umfangreiche Unterstützung
Der LWB wird ganzheitliche Unterstützung leisten, das heisst, er wird sämtliche Hilfsgüter zur Verfügung stellen, die ein Dorf benötigt. In Gorkha wird es sich dabei wahrscheinlich um ein sehr breites Spektrum an Hilfsmassnahmen handeln. Da der Monsunregen bald beginnt, gilt es zunächst, dafür zu sorgen, dass die Menschen ein Dach über dem Kopf haben. Danach geht es um den Wiederaufbau. Da einige Menschen ihre gesamte Lebensgrundlage verloren haben, werden sie in einigen Wochen auch Nahrungsmittelhilfe benötigen. Dort, wo Toiletten und Wasserleitungen beschädigt wurden, stellt der LWB Wasser, sanitäre Einrichtungen und Unterstützung bei der Hygiene zur Verfügung. Psychologische Unterstützung soll den Menschen helfen, ihre Traumata im Zusammenhang mit dem Erdbeben zu verarbeiten und sicherstellen, dass besonders verletzliche Menschen nicht übersehen werden.
Bei einer ersten Bestandsaufnahme wurde jedoch auch klar, dass die Landbevölkerung erstaunlich belastbar ist und über starke Bewältigungsmechanismen verfügt. „Sie warten nicht einfach auf Hilfe, sondern sie organisieren sich selbst“, sagt Bed Prakash Bhatta Lulani, Mitglied des Teams, das nach Gorkha gereist ist, um sich ein Bild von der dortigen Lage zu machen. „Nachbarinnen und Nachbarn helfen einander; Verwandte unterstützen diejenigen, die ihr Zuhause verloren haben.“ In Chanapani versucht die Gemeinde, das Dorf in Gemeinschaftsarbeit wieder aufzubauen. Freiwillige helfen Menschen, die zu grosse Angst haben, ihr Hab und Gut aus den beschädigten Häusern zu holen.
„Alle stehen noch unter Schock, die Leute haben noch nicht wieder viel Kraft“, sagt Songam Roka. „Wenn die Kinder sehen, dass der Wind durch die Blätter streicht, bekommen sie Angst, denn sie denken, das sei wieder ein Erdbeben.“