Nepal: Von Schuldknechtschaft zu einem selbstbestimmten Leben

14 März 2019
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Kausilya Damai, Mitglied der Kommunalverwaltung der Landgemeinde Nawadurga im Westen Nepals. Foto: LWB Nepal

Kausilya Damai, Mitglied der Kommunalverwaltung der Landgemeinde Nawadurga im Westen Nepals. Foto: LWB Nepal

Kausilya Damai berichtet über ihren langen Weg aus der Marginalisierung

Nawadurga, Nepal/Genf (LWI) – In einem Land mit mehr als 450 Landgemeinden mag es zunächst nicht als große Sache erscheinen, wenn man in Nepal als Vertreterin in eine Kommunalbehörde gewählt wird.  Kausilya Damai erlebt dies jedoch ganz anders. Demnächst ist es zwei Jahre her, dass sie Mitglied der Kommunalverwaltung der Landgemeinde Nawadurga in der westlichen Bergregion Nepals wurde.

1968 als Tochter einer in Schuldknechtschaft (Haliya) stehenden Familie im Dorf Nawadurga im Distrikt Dadeldhura geboren, war es ihr strikt untersagt, mit Menschen außerhalb ihrer ethnischen Gruppe Kontakt aufzunehmen. Wie ihre Schicksalsgenossinnen musste sie ab dem Alter von zehn Jahren für den Eigentümer des Landes arbeiten, auf dem ihre Familie ihren kargen Lebensunterhalt verdiente. Das war auch die Zeit, als sie anfing, sich der Ungleichheiten zwischen Arbeitskräften und Landbesitzern bewusst zu werden.

Damai wurde mit 13 verheiratet, so wie es nach dem allseits praktizierten Brauch bei den Haliya üblich war. Diese Frühverheiratung befreite die Eltern des Mädchens von ihrer Verantwortung gegenüber ihrer Tochter, und die Familie des jungen Bräutigams bekam eine zusätzliche Arbeitskraft. Sie erinnert sich an „extrem schwierige Jahre“ voller Diskriminierung und Gewalt die folgten. „Ein Teil dieses Missbrauchs erfolgte im eigenen Haus, da mein Mann alkoholabhängig war, eine nicht seltene Sucht unter den Männern in dieser Region.“

LWB leistet Advocacy-Arbeit für marginalisierte Bevölkerungsgruppen

Kausilya war noch ein Teenager, als sie das erste Mal etwas über den Lutherischen Weltbund (LWB) hörte. Der LWB war eine der Organisationen, die im Dorf Versammlungen organisierten und über die Rechte marginalisierter Gruppen wie die Haliya aufklärten. „Angesichts der dreifachen Diskriminierung als Dalit, Haliya und Frau und der erlittenen Ausbeutung gab es wohl keine Gruppe, die benachteiligter war als die Haliya-Frauen“, erinnert sie sich. Das LWB-Länderprogramm für Nepal organisierte Informationsveranstaltungen über die Rechte von Menschen in Schuldknechtschaft und vermittelte im Rahmen der Haliya Federation, zu deren Mitgliedern Damai zählt, Kurse für Existenzgründungen.

„Die Advocacy-Programme des LWB haben mir wirklich geholfen, meine Situation besser zu verstehen und mir zu zeigen, wie ich die Bewegung unterstützen und Veränderungen bewirken kann. Damals entstand in mir der Wunsch, eines Tages in ein Regierungsamt gewählt und aus einer einflussreichen Position heraus für die Rechte meines Volkes zu kämpfen“, fügt Damai hinzu. Aufgrund ihres aktiven Engagements wurde sie bereits mit 21 Jahren zur Distriktvorsitzenden der Spar- und Kreditgemeinschaft für Frauen der Haliya Federation für Frauen gewählt.

Im Mai 2017 wurde Damai im Alter von 49 Jahren mit 125 anderen Haliyas zu einem Mitglied der Kommunalverwaltung von Nawadurga gewählt. „Obwohl wir eigentlich keine Chance hatten, konnten wir mit diesem Erfolg für mich und andere beweisen, dass es immer Grund zur Hoffnung gibt – selbst in den hoffnungslosesten Situationen“, sagt Damai.

Der Kampf geht weiter

Bis zum offiziellen Verbot des Systems der Schuldknechtschaft durch die Regierung Nepals im September 2008 hatte das System der ausgebeuteten Haliya- und Dalit-Arbeitskräfte (die Dalits stehen als Unberührbare ganz unten im Kastensystem) über Jahrhunderte existiert. Es fand in drei unterschiedlichen Formen statt: extrem lange Arbeitszeiten, Arbeitsdienste für alle Familienmitglieder einschließlich der Kinder, und eine nie endende Verschuldung, um elementare Bedürfnisse erfüllen zu können. „Es muss nicht explizit erwähnt werden, dass diese Praxis unmenschlich war und eine extreme Menschenrechtsverletzung darstellte“, sagt LWB-Länderrepräsentant Dr. Prabin Manandhar.

 LWF Nepal

Zwar gibt es keine eindeutigen statistischen Angaben, aber das International Dalit Solidarity Network kommt zu dem Ergebnis, dass die Entscheidung der Regierung ca. 20.000 Haliyas die Freiheit brachte.

Manandhar weist jedoch darauf hin, dass mit dem gesetzlichen Verbot dieser Praxis der Kampf der Haliyas für ihre Rechte noch nicht beendet sei. Der Prozess beinhaltet nach wie vor schwierige Herausforderungen. Dazu gehören fehlende Gesetze für Rehabilitierungsverfahren und Probleme, alle Betroffenen zu erreichen. „Freiheit kann eine einschüchternde Erfahrung sein, besonders für diejenigen, die Freiheit nicht kennen. Die Integration in die Gesellschaft erfordert eine konstante und konsequente Unterstützung“, fügt er hinzu.  

Der LWB setzt seine Zusammenarbeit mit der Haliya Federation fort und unterstützt die Mitglieder mit juristischen Dokumentationen, zivilrechtlicher Aufklärung und Hilfe bei der Existenzgründung. „Das Ziel besteht darin, den befreiten Haliyas verantwortungsvolle Aufgaben zu übertragen und gleichzeitig dafür zu sorgen, dass sie in die Gemeinschaft integriert werden.“

Die Vertreterin der Landgemeinde Nawadurga, Kausilya Damai, stimmt dem zu: „Ja, wir sind endlich frei, aber bis wir wirkliche Freiheit erreicht haben, ist es noch ein langer Weg.“

 LWF Nepal

Das LWB-Länderprogramm unterstützt seit 1984 marginalisierte und benachteiligte Gemeinschaften in Nepal. Das Programm hilft bei der Vorbereitung auf Katastrophenfälle, unterstützt nachhaltige Existenzgründungen, fördert Menschenrechte und erreicht jedes Jahr mehr als 83.000 Menschen. 2018 hat LWB Nepal mit 4.355 befreiten Haliyas gearbeitet, davon waren 58 Prozent Frauen.

LWF/OCS