LWB hilft traumatisierten Frauen im Irak
Dohuk, Irak/Genf, 16. November 2015 (LWI) – Als die Miliz des Islamischen Staates (IS) auf Asnas (Name geändert) Dorf in den Sindschar-Bergen vorrückte, überredet ihr Nachbar die jesidische Familie zum Bleiben. „Ich werde auf euch aufpassen, niemand wird euch ein Leid zufügen“, verspricht er ihnen. Eine Stunde später klopft er erneut an die Tür: „Ihr müsst sofort weg, wir können euch nicht mehr schützen. Der IS entführt Frauen und Mädchen.“
Die Warnung kam zu spät. Die heute siebzehn Jahre alte Asna und ihre gesamte Familie wurden gefangen genommen und voneinander getrennt. Monatelang war das Mädchen den Kämpfern der Miliz ausgeliefert, die sie missbrauchten, bis ihr die Flucht gelang. Heute ist sie eine der Frauen, die regelmässig eine der vom Lutherischen Weltbund (LWB) geleiteten Frauenzentren im Nordirak aufsuchen. Sie wird dort beraten und an medizinische Versorgung weiter verwiesen. Dort erhält sie auch psychosoziale Unterstützung, damit sie ihre traumatisierenden Erfahrungen verarbeiten kann.
„Sie ist eine Ungläubige“
Asna sitzt mit einer Cousine in einem Aufenthaltsraum im Wohncontainer des Zentrums und erzählt ihre Geschichte. Nachdem die Miliz ihre Familie gefangen genommen und die Männer von den Frauen getrennt hatte, wurden Asna, ihre Mutter und ihre Schwestern in einer Schule eingesperrt. Einer der Milizenführer nahm Asna und zwei dreizehnjährige Mädchen mit zu seinem Haus. Er sperrte Asna ins Badezimmer und verliess mit den beiden jüngeren Mädchen das Haus. Nach einer Woche und einem gescheiterten Fluchtversuch wurde Asna in das Haus eines anderen Kämpfers gebracht.
„Ich blieb zwei Monate lang bei diesem Mann, seiner Frau und seinen Kindern“, erinnert sie sich. „Jedes Mal, wenn ich nach meiner Familie fragte, schlug er mich. Er vergewaltigte mich in seinem Haus, aber seine Frau sagte nur: Sie ist eine Ungläubige, du kannst mit ihr machen, was du willst.“ Eines Abends, als ihr Entführer nicht aufpasste, sprang sie aus dem Fenster und lief auf der Suche nach Hilfe durch die Strassen von Mossul.
Diesmal hatte sie Glück. Jemand nahm sie auf und rief ihre Onkel an. Mit einem gefälschten Ausweis gelang es Asna, das vom IS besetzte Territorium zu verlassen und in autonomes Kurdengebiet zu ihren Verwandten zu gelangen. Jetzt lebt sie in einem Lager in der Nähe von Dohuk zusammen mit anderen Vertriebenen und entfernten Verwandten in einem überfüllten Zelt.
„Für uns ist sie jemand ganz Besonderes“
Asna hat sich seitdem sehr verändert. „Als sie hier ankam, litt sie unter Depressionen und dachte daran, sich umzubringen. Jeden Tag sprachen wir ihr Mut zu, damit sie ihr Leben weiterlebt“, sagt Nadia Braim Morad, die im Frauenzentrum arbeitet. Die Beratung durch den LWB und andere Aktivitäten erlauben es Asna, jeden Tag einige Stunden lang ihre beengte Lebenssituation und ihre Erinnerungen hinter sich zu lassen. „Wir sagen den Frauen, dass sie behutsam sein und sich besonders liebevoll um sie kümmern sollen. Für uns ist sie jemand ganz Besonderes“, sagt Morad.
Heute nimmt Asna an den angebotenen Workshops teil, beschäftigt sich mit Zeichnen und Handarbeiten und unterhält sich manchmal mit anderen Frauen im Zentrum. Sie hat zaghaft Freundschaften geschlossen und lächelt manchmal sogar. Sie träumt von ihrer eigenen Nähmaschine und einem Beruf als Schneiderin. Asna würde auch gerne ihren Schulabschluss machen, ist aber noch zu traumatisiert, um mit arabischsprachigen Menschen umzugehen. Ihr Weg zurück ins Leben besteht aus zahlreichen sorgfältig geplanten kleinen Schritten.
„Wir konnten ihr zeigen, dass sie nicht allein ist. Das hat ihr schon viel geholfen“, sagt Morad. „Sie kommt jeden Tag zu uns. Es gibt ein anderes Mädchen mit einer ähnlichen Erfahrung. Wir versuchen, ihnen ein Gefühl der Sicherheit und Freiheit zu geben und ihnen ein Umfeld zu bieten, in den sie sich entfalten können.“
Die meiste Zeit ist Asna in ihren Gedanken bei ihrer Familie, die sie seit dem Tag ihrer Entführung nicht mehr gesehen hat. Sie hofft immer noch auf ein Wiedersehen. „Ich kann nicht aufhören, an meine Mutter und meine Schwestern zu denken. Ich weiss nicht, ob meine Eltern noch leben“, sagt sie. „Ich bete zu Gott, dass ich meine Familie wiedersehe.“
Der LWB arbeitet mit örtlichen Partnern, der Jiyan Foundation for Human Rights und dem Kirkuk Center for Torture Victims, zusammen und bietet traumatisierten Frauen und Mädchen Beratung und psychosoziale Hilfe an. Bitte unterstützen Sie unsere Arbeit, damit wir diese Frauen und Mädchen vor weiteren Übergriffen, Freiheitsberaubung und Suizid schützen können.