Mauretanien: Frieden und eine neue Existenz für Kriegsflüchtlinge

29. Okt. 2015
Mithilfe der Nähkenntnisse, die der Flüchtling Bolozi Nzenze Budiaki durch eine Bildungsmassnahme des LWB erworben hat, kann die Kongolesin in ihrer neuen Heimat Mauretanien ihre Familie ernähren. Foto: LWB/C. Kästner

Mithilfe der Nähkenntnisse, die der Flüchtling Bolozi Nzenze Budiaki durch eine Bildungsmassnahme des LWB erworben hat, kann die Kongolesin in ihrer neuen Heimat Mauretanien ihre Familie ernähren. Foto: LWB/C. Kästner

„Ich will mehr für meine Kinder“

Nouakchott (Mauretanien)/Genf, 29. Oktober 2015 (LWI) – „Wir wollten einfach nur Frieden“, erinnert sich Bolozi Nzenze Budiaki. Es klingt fast, als wolle sie sich dafür entschuldigen, dass sie heute in einem Zelt in der mauretanischen Hauptstadt Nouakchott lebt und in diesem Land, das nicht ihre Heimat ist, nicht ohne Entwicklungshilfe auskommt.

Die 32-Jährige musste bereits zweimal fliehen, um ihre Familie zu schützen. Aktuell nimmt sie an dem von LWB-Mauretanien angebotenen Gemeinwesenentwicklungs-Programm teil. Gemeinsam mit anderen Frauen näht sie Hemden und erwirtschaftet mit dem Verkauf ihren Lebensunterhalt.

Budiaki stammt ursprünglich aus der Demokratischen Republik Kongo (DRK), aus der sie 2003 fliehen musste. „Ich war die letzte aus meiner Familie, die das Land verlassen hat“, erinnert sie sich. Anders als viele andere Flüchtlinge aus der DRK blieb sie jedoch nicht in einem Nachbarland wie Uganda, sondern ging nach Mali. „Ich wusste, wenn ich nicht weit genug von der DRK weggehe, ist es für die Aufständischen leichter, zu kommen und uns zu töten.“ Ihre Familie ist über den ganzen Kontinent verstreut.

Flüchtling ohne Existenz

Budiaki liess sich also in Mali nieder, heiratete und bekam drei Töchter. Aber schon vor dem Ausbruch des Bürgerkriegs in ihrer neuen Heimat wusste sie, dass ihre Kinder von weiblicher Genitalverstümmelung bedroht waren. „Mein Mann wollte die Mädchen beschneiden lassen“, erinnert sie sich. „Deswegen habe ich ihn verlassen und bin nach Mauretanien gegangen. Als wir hierher kamen, fanden wir Gott sei Dank Frieden.“

Der Frieden löste jedoch nicht das existenzielle Problem des Lebensunterhalts für ihre Familie. Inzwischen hat sie wieder geheiratet. „Als Flüchtling war es schwierig, in Mauretanien Arbeit zu finden“, berichtet Budiaki. „Ich habe als Bedienung und als Hausmädchen gearbeitet, mein Mann hat sich um die Kinder gekümmert. Als Frau war es leichter für mich, im Dienstleistungssektor Arbeit zu finden, als für ihn.“ Sie verkaufte kleine Speisen und Pökelfisch.

Menschen wie Budiaki sind die Zielgruppe des von LWB-Mauretanien aufgelegten Programms zur integrierten Gemeinwesenentwicklung, das drei wesentliche Ziele verfolgt: Katastrophenvermeidung/-verminderung und Katastrophenvorsorge, nachhaltige Existenzsicherung und die Förderung von Initiativen für Gerechtigkeit und Frieden durch die Bevölkerung selbst. Das Programm unterstützt Bedürftige in den Regionen Nouakchott, Brakna und Hodh Ech Chargui. Anders als Nouakchott, wo ein Viertel der Bevölkerung von Armut betroffen ist, sind die beiden anderen Regionen ländlich geprägt und liegen in der Sahelzone. Dort ist der Anteil der Armen an der Bevölkerung sehr hoch und viele Menschen leiden an Unterernährung. In Brakna, über 300 Kilometer von der Hauptstadt entfernt, leben zwei Drittel der Menschen in Armut, in der noch entlegeneren Region Hodh Ech Chargui liegt das Einkommen von etwa der Hälfte der Bevölkerung unter der Armutsgrenze.

Der LWB stellt den Gemeinwesen materielle und finanzielle Hilfen bereit, dazu kommen Ausbildungsangebote und der Zugang zu Kleinstkrediten, die besonders AusländerInnen sonst kaum zur Verfügung stehen.

„Es sind nicht nur Veränderungen im alltäglichen Leben der Menschen festzustellen, wir sehen auch, dass sie sich verstärkt im Gemeinwesen engagieren“, beobachtet Kasongo Mutshaila, Ländervertreter von LWB-Mauretanien.

„Sie helfen Familien, die von Überschwemmungen betroffen sind, organisieren Hygienekampagnen, bei denen die Bevölkerung öffentliche Orte wie Märkte und Wasserstellen säubert, und diskutieren bei Treffen die wichtigen Fragen, die ihr Gemeinwesen betreffen.“

Regelmässiges Einkommen besser als Tagelöhnerinnendasein

Das Projekt nimmt insbesondere jene in den Blick, die mit besonderen Schwierigkeiten kämpfen: alleinerziehende Frauen mit ihren Familien, Ältere und Menschen, die mit HIV/AIDS oder Behinderungen leben.

„Viele Frauen haben keine Alternative zur Prostitution, um ein Einkommen zu erwirtschaften“, erzählt Budiakis Freundin Lou Diena Victorine Irie. Sie floh 2010 vor dem Konflikt in Côte d'Ivoire. Ihre Familie ist entweder „getrennt oder tot“, sagt sie lapidar.

Wie Budiaki ist auch Irie die Brotverdienerin für ihre Kinder – drei Jungen und ein Mädchen im Alter von 2 bis 17 Jahren. „Ich will mehr für meine Kinder“, betont sie, „ich möchte, dass sie das bestmögliche Leben haben.“

Das Programm wurde dieses Jahr neu aufgelegt und läuft bis 2020. Es hat Budiakis Leben verändert. Die beiden Frauen haben an einer Bildungsmassnahme teilgenommen und eine Genossenschaft gegründet. Gemeinsam stellen sie Kleidung und Lebensmittel her. Der Verkauf ihrer Produkte liefert ein regelmässigeres Einkommen, als es die Frauen zuvor als Tagelöhnerinnen verdienten. „So ist es besser, aber es ist immer noch nicht genug, um Geld für die Zukunft sparen zu können.“

Budiaki sorgt sich heute vor allem um ihre Kinder. „Ich hoffe, sie werden kein so schweres Leben haben wie ich“, erklärt sie. „Ich möchte, dass sie an einem Ort leben, wo sie ein Stipendium, Bildung und medizinische Versorgung haben, in einem Land, das ihre Rechte als Kinder achtet.“