500 Jahre nach Martin Luthers Übersetzung des Neuen Testaments aus dem Griechischen ins Deutsche nimmt der LWB den Jahrestag zum Anlass darüber nachzudenken, wie dies die Arbeit der Kirchen von heute anregen kann.
Luther-Forscher Anthony Bateza über die Herausforderung, mit der Botschaft Christi die Herzen und den Verstand der Menschen zu berühren
(LWI) – Der Lutherische Weltbund (LWB) hält zur Feier des 500. Jahrestages von Luthers Übersetzung des Neuen Testaments aus dem Griechischen ins Deutsche eine Reihe von Webinaren und anderen öffentlichen Veranstaltungen ab. Die 1522 veröffentlichte und weithin als „Septembertestament“ bekannte Übersetzung markiert einen Schlüsselmoment der Reformation, verschaffte sie doch den Menschen in den Kirchenbänken und daheim einen besseren Zugang zu den Evangelien.
Auch wenn Luther keineswegs die erste Übersetzung des Neuen Testaments oder der Bibel anfertigte, so war es doch sein meisterhafter Einsatz von Sprache und Metaphorik, die „Herzen und Verstand auf neue Weise berührten und die biblischen Geschichten für seine Zeitgenossen lebendig werden ließen, egal ob es sich dabei um Gelehrte oder Bauern handelte, und für uns besteht die Herausforderung darin, das auch in der heutigen Zeit fortzusetzen.“
Anthony Bateza ist Luther-Forscher und Privatdozent für Religion am St. Olaf College in Northfield, Minnesota/USA. Außerdem ist er Vorsitzender des dortigen Referats für Rassen-, Ethnien-, Geschlechter- und Sexualitätsstudien. Er schreibt über Schwarze Befreiungstheologe und die Zusammenhänge zwischen lutherischer Lehre und der Auseinandersetzung mit dem Rassismus in den heutigen USA.
„Da zieht sich ein roter Faden durch die Werke der Gelehrten zu Luthers Zeit, und er selber stand auf den Schultern etlicher anderer, die an kritischen Ausgaben der Bibel arbeiteten“, sagt Bateza. „Doch was besonders eindrucksvoll und unvorhersehbar war, das ist die Wirkung, die seine Übersetzung auf die Verbreitung der Bibel hatte, denn durch die Verwendung von Metaphern, Bildern und Sprache erzeugte er bei den gewöhnlichen Menschen einen Anklang, der weit über die geschlossenen Zirkel der Kleriker, Akademiker und anderer Bildungseliten hinausreichte.“
„Luther wurde bei seiner Arbeit von dem Wunsch getrieben, die Bedeutung der Bibel für die Menschen auf eine Weise lebendig werden zu lassen, die sich treu an den Text und seine Historie hielt, die aber auch leidenschaftlich und mitreißend sein sollte“, fährt Bateza fort. „Auch andere Leute konnten übersetzen und haben Übersetzungen angefertigt, doch Luther war es wichtig, wie man mithilfe der Sprache Christus kommunizieren und seine eindringliche Botschaft von Vergebung und Versöhnung vermitteln konnte.“
Luther hatte auch Kritiker, merkt Bateza an. Doch selbst diejenigen, die mit seiner Theologie nicht einverstanden waren, schätzten die Kraft und die Schönheit seiner Sprache so sehr, dass sie manchmal sogar seine Übersetzungen kopierten. „Etwas, das mich immer wieder inspiriert“, so Bateza, „ist, wie Luther es schaffte, sich so natürlich, so fließend zwischen seiner akademischen Zuhörerschaft, seinen kirchlichen Verpflichtungen und seinen sozialen Beziehungen zu bewegen.“
Radikale Botschaft von Gleichheit und Integration
„Wie kann ich als Professor, als Pfarrer, als Akademiker ebenfalls den verschiedenen Normen dieser unterschiedlichen Gemeinschaften gerecht werden?“, fragt Bateza. „In der heutigen Welt, mit den sinkenden Zahlen in unseren Kirchen und der mangelnden Vertrautheit mit den biblischen Geschichten, stellt das eine Herausforderung dar. Doch es ist unsere Aufgabe, diese Bilder und diese Sprache, die Luther geschaffen hat, weiterzutragen und gleichzeitig neue Wege zu finden, sich mit den Menschen zu verbinden, die in den Kirchengemeinden und -traditionen weniger bewandert sind.“
Bei der Überlegung, welche Bedeutung Luthers Werk für seine eigene Beschäftigung mit Studierenden in den Vereinigten Staaten hat, stellt Bateza fest, dass der Reformator „wiederholt betonte, dass Gott alle Arten von Menschen, an allen Arten von Orten und in allen möglichen Positionen einsetzen kann, um Gottes Werk zu tun. Sein immer wiederkehrender Spruch lautete, es seien nicht nur die Adligen, die ordinierte Priesterschaft oder gar Akademiker wie er selbst, die vorrangig oder ausschließlich das Mittel darstellten, durch das sich der Heilige Geist kundtut und durch das Gott wirkt.“
„Das war damals ein ziemlich radikaler Gedanke, und ich denke, das ist er immer noch, denn wir sehen ja, wie soziale Unterdrückung häufig mit Rasse, Geschlecht oder Klasse zusammenhängt, und dieser Gedanke gibt uns einen Anstoß zu erkennen, über welchen Kanal die Arbeit erfolgen sollte. Wenn ich also sehe, dass studentische Aktivistinnen und Aktivistin mehr Vielfalt, Gleichheit und Inklusion fordern, sehe ich auch ein gewisses lutherisches Vermächtnis zum Umstürzen von Machtstrukturen, denn die höchste Macht gebührt Gott.“
Eingedenk der Forderung „Verkörpere das Wort“, die die kürzlich stattgefundenen kirchenweiten Versammlung der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Amerika (ELKA) ausgegeben hat, sagt Bateza, man dürfe auch nicht vergessen, dass Luther nicht immer praktizierte, was er predigte. „Er rief nach Gleichheit und Freiheit, aber bei der Charakterisierung anderer Menschen konnte er auch respektlos, abwertend oder verteufelnd sein. Wir dürfen nicht nach reinen Helden schauen, sondern müssen uns mehr an die echten Menschen mit allen Fehlern, Nachteilen und Mängeln halten, in der Hoffnung, dass andere dasselbe bei uns tun, indem sie unsere Arbeit sowohl wertschätzen als auch kritisieren und herausfordern.“