Alte Vorurteile überwinden und gleichzeitig lernen, den Erzählungen anderer christlicher Gläubiger zu vertrauen und zuzuhören: Jean-Daniel Plüss berichtet vom ersten internationalen lutherisch-pfingstkirchlichen Dialog.
Jean-Daniel Plüss, Co-Vorsitzender des ersten lutherisch-pfingstkirchlichen Dialogs, spricht über Erkenntnisse auf dem Weg zur Einheit aller christlichen Gläubigen
(LWI) – „Wir wollen relevant sein, und wir müssen einfach verstehen, dass wir für die jungen Menschen von heute nicht glaubwürdig sind, wenn wir immer nur über unsere Differenzen zanken.“ Davon ist der Schweizer Ökumene-Fachmann Jean-Daniel Plüss, Vorsitzender des Europäischen Pfingstkirchlich-Charismatischen Forschungsverbands (European Pentecostal Charismatic Research Association) und Co-Vorsitzender für die Weltgemeinschaft der Pfingstkirchen des ersten internationalen Dialogs mit dem Lutherischen Weltbund (LWB), überzeugt.
Dieser Dialog hatte sich, um es mit den Worten von Plüss selbst zu sagen, „seit Langem angebahnt“. Seine Ursprünge sind schon in den 1990er Jahren zu finden, als das Verhältnis zwischen den älteren etablierten Kirchen und den neueren geistgeleiteten Bewegungen vor allem geprägt war von anhaltendem gegenseitigen Misstrauen. Der erste Kontakt zwischen dem ehemaligen LWB-Generalsekretär Gunnar Stålsett und der pfingstkirchlichen Professorin Cecil M. Robeck hat zur Einrichtung einer informellen Gesprächsgruppe geführt, die in den folgenden zehn Jahren am Institut für Ökumenische Forschung in Straßburg, Frankreich, fünf Mal zusammengetreten ist.
Unter Leitung von Plüss und dem lutherischen Professor Kenneth Appold vom Princeton Theological Seminary hat sich die Gruppe mit grundlegenden Unterschieden und gemeinsamen Glaubensüberzeugungen der Mitgliedskirchen der beiden weltweiten christlichen Gemeinschaften auseinandergesetzt. Während sie „die Grundfeste unseres Selbstverständnisses“ untersuchten, erklärt Plüss, hätten sie nach und nach „festgestellt, dass uns unsere Identität in Christus trotz unserer sehr unterschiedlichen Werdegänge und Traditionen miteinander verbindet“.
Auf den ersten Blick „scheinen die beiden Glaubenstraditionen so unterschiedlich zu sein, dass es wenig Gemeinsamkeiten geben kann“, wie es in der Erklärung des ersten lutherisch-pfingstkirchlichen Dialogs heißt. Die lutherischen Kirchen sind konfessionelle Kirchen, die Pfingstkirchen nicht, und die Gottesdienstformen und Organisationsstrukturen könnten unterschiedlicher nicht sein. Und dennoch: Je genauer sich die Gruppe mit der Verschiedenheit innerhalb ihrer jeweils eigenen Glaubensgemeinschaften beschäftigte, desto deutlicher wurde ihnen, „dass der gleiche Geist am Werk ist und die Bereitschaft erzeugt, alte Vorurteile zu überwinden und zu lernen, einander zu vertrauen und den Geschichten der jeweils anderen zuzuhören“.
Plüss hat schon seit seiner Studentenzeit Interesse am ökumenischen Dialog und engagiert sich auch schon seitdem dafür. „Meine familiären Wurzeln lassen sich bis zu den Hugenotten aus Südfrankreich zurückverfolgen, die im 16. Jahrhundert in die Schweiz geflohen sind“, erzählt er. „Ich bin in der reformierten Kirchen aufgewachsen, aber als Teenager habe ich die Pfingstkirche kennengelernt. Ich hatte das Gefühl, zum Dienst in der Kirche berufen zu sein, und habe daher ein Studium an einer pfingstkirchlichen Hochschule aufgenommen. Für meine Promotion bin ich im Anschluss an die Katholische Universität Löwen gegangen.“
In den 1970er Jahren, erinnert er sich, „war die charismatische Erneuerungsbewegung in vollem Gange, in den Gebetstreffen sind Menschen aus sehr vielen verschiedenen Kirchen zusammengekommen und ich wurde an der katholischen Universität mit offenen Armen empfangen. Man begegnete mir mit sehr viel Wohlwollen und Interesse und so wollte ich auch mehr über den Glauben derjenigen erfahren, die einen anderen religiösen Hintergrund hatten als ich.“
Von anderen lernen, um sich selbst besser kennenzulernen
Von anderen zu lernen, um die eigene Glaubenstradition besser zu verstehen und schätzen zu lernen, war ein wiederkehrendes Thema im ersten internationalen lutherisch-pfingstkirchlichen Dialog, dessen Co-Vorsitzender Plüss von 2016 bis 2022 war. „Es ist eine wunderbare Geschichte über das Kennenlernen von anderen und sich selbst“, erzählt Plüss.
Die Treffen fanden jedes Jahr auf einem anderen Kontinent statt, um sich auch mit Themen zu beschäftigen, die für verschiedene lokale Kontexte von Bedeutung waren. „In Chile zum Beispiel haben wir über Armut gesprochen, weil die Pfingstbewegung eine Kirche für die Armen ist, aber auch die lutherischen Kirchen haben diakonische Dienste für die Armen und so haben wir erkannt, dass uns viel verbindet. In Madagaskar haben wir über Heilung und Erlösung gesprochen, darüber, dass die Pfingstkirchen dafür beten, dass Menschen aus der Unterdrückung erlöst werden, aber wir haben auch verstanden, dass die lutherischen Kirchen einen Erlösungsdienst haben, der dem unsrigen nicht unähnlich ist.“
Trotz der Unterbrechung während der Pandemie wurde 2023 ein Abschlussbericht veröffentlicht, der die Einleitung einer zweiten Dialogphase empfiehlt, die sich beispielsweise mit den Gottesdienstformen beschäftigen könnte, bei denen es sowohl innerhalb der Kirchengemeinschaften als auch zwischen den beiden Kirchengemeinschaften große Unterschiede gibt. „In Äthiopien feiern lutherische Gläubige vielleicht ganz anders Gottesdienst als andernorts, oder in Russland zum Beispiel wurden die Pfingstkirchen sehr stark von den lutherischen Kirchen beeinflusst; wir können so also auch lernen, unsere eigenen Gläubigen und Kirchen besser zu verstehen“, sagt Plüss.
Ethisch-moralische Evangelisation, relevantes Zeugnis
Der Bericht, der in der englischen Originalfassung den Titel „The Spirit of the Lord is Upon Me“ (Der Geist des Herrn ist auf mir) trägt (deutsche Übersetzung in Arbeit), ist benutzerfreundlich geschrieben, „so dass beide Kirchenfamilien Nutzen daraus ziehen und Gemeindepfarrerinnen und Gemeindepfarrer Erfahrungsberichte austauschen können, um voneinander zu lernen“. Der Bericht beschäftigt sich mit typischen Spannungsfeldern wie beispielsweise Proselytismus und weist darauf hin, dass beide Seiten „unlautere und unredliche Formen von Mission“ angewandt haben. Es heißt darin wörtlich: „Wir sind bestürzt, wenn Missionarinnen und Missionare ihre Programme in völliger Unkenntnis der örtlichen Kultur oder Geschichte durchführen. Wir sind enttäuscht und beschämt, wenn christliche Gläubige versuchen, Mitglieder anderer Kirche zu ‚evangelisieren‘, als ob es diese Kirchen ganz einfach nicht geben würde.“
Plüss sagt, es sei „sehr gut“ gewesen, „über Proselytismus zu sprechen und sich darüber auszutauschen, wie wir der Welt das Evangelium auf ethisch vertretbare Art und Weise verkündigen können“. Die Pfingstkirchen mit ihren „dynamischeren Formen der Evangelisation müssen lernen, das auf eine verantwortungsbewusste Weise zu tun, die das Leben anderer Kirchen respektiert, während die lutherischen Kirchen sich vielleicht fragen sollten, warum die Gottesdienste in den Pfingstkirchen von mehr Menschen besucht werden“.
Mit Blick auf das Thema der jüngsten LWB-Vollversammlung – „Ein Leib, ein Geist, eine Hoffnung“ – sagte Plüss: „Ich bin zuversichtlich, dass wir besser verstehen werden, was Gott durch die anderen Kirchen wirkt, wenn wir verstehen, dass wir eins sind in Christus und dass es nur einen Heiligen Geist gibt, der uns zur Mission beruft.“ Abschließend sagt er: „Ich denke, wir werden zusammenwachsen und unserem gemeinsamen Zeugnis für die Welt mehr Bedeutung verleihen, wenn wir letztendlich unsere Identität in Jesus Christus erkennen.“