Irak: LWB konsolidiert Flüchtlingshilfe

02 Febr. 2015
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Verteilung von Winterkleidung an Flüchtlinge im Lager Khanki, Dohuk. Foto: Sandra Cox

Verteilung von Winterkleidung an Flüchtlinge im Lager Khanki, Dohuk. Foto: Sandra Cox

Interview mit dem Koordinator der humanitären Hilfe, Roland Schlott

(LWI) – Der LWB konsolidiert seine Nothilfemassnahmen im Irak. Wie er dem Ausschuss des Lutherischen Weltbundes (LWB) für Weltdienst bei dessen Tagung im Januar mitteilte, agiert er jetzt unter eigener Registrierung und stellt damit die Nothilfemassnahmen im Irak auf ein festeres Fundament. Der LWB engagiert sich seit August 2014 in der Flüchtlingskrise im irakischen Kurdistan. Gemeinsam mit und durch lokale Partner stellt der LWB für Flüchtlinge aus Mosul, Sindschar und der Ninive-Ebene Unterkünfte und Hilfsgüter bereit und leistet psychosoziale Betreuung. Seit Januar arbeitet der LWB als eigenständig registrierte Organisation im Irak.

In einem Interview mit der Lutherischen Welt-Information (LWI) berichtet Roland Schlott, der Koordinator der humanitären Hilfe des LWB, über die Herausforderungen beim Aufbau der Hilfsstrukturen und bei der Bewältigung einer der grössten Flüchtlingskrisen weltweit.

Weshalb engagiert sich der LWB im Irak?

Der LWB hat den Auftrag, den Ärmsten und Schwächsten zu dienen, wobei wir uns besonders um Flüchtlinge und Binnenvertriebene kümmern. Wir haben uns entschlossen, Hilfe zu leisten, weil die humanitäre Notlage dramatisch ist und es im Nordirak eine sehr grosse Zahl an Binnenvertriebenen gibt.

Im Juli 2014 haben die IS-Milizen Mosul erobert, die zweitgrösste Stadt des Irak, in der etwa 4 Millionen Menschen leben. Die Milizen haben Gräueltaten an ethnischen und religiösen Minderheiten einschliesslich der christlichen Bevölkerung verübt. Im August 2014 wurde die Situation im Irak von den Vereinten Nationen als extrem schwere Krisensituation (Notstand der Stufe 3) eingestuft. Die LWB-Nothilfestrategie sieht vor, dass der LWB in allen Krisensituationen dieser Grössenordnung aktiv wird. Zudem hat uns das Christian Aid Program in Iraq (CAPNI) um Hilfe gebeten. Das ist eine einheimische Organisation, die seit vielen Jahren in der Region arbeitet und ausserdem ein langjähriger Partner der Evangelischen Landeskirche in Bayern, einer Mitgliedskirche des LWB ist. Die bayerische Landeskirche hat sich ihrerseits ebenfalls mit der Bitte um Unterstützung an den LWB gewandt.

Wie hat der LWB die Massnahmen organisiert?

Wir haben umgehend einen ehemaliger LWB-Mitarbeiter in den Irak geschickt, der bereits früher dort tätig war. Dann wurden verschiedene Optionen ausgearbeitet. Wir haben drei so genannte Nothilfezentren auf verschiedenen Kontinenten, von denen aus schnell erfahrene Mitarbeitende in Krisengebiete entsandt werden können. Der Koordinator der humanitären Hilfe des LWB hat zunächst zwei Katastrophenhelfer vom LWB-Nothilfezentrum in Kathmandu (Nepal) sowie einen Projektmanager aus dem LWB-Länderprogramm in Jordanien nach Dohuk entsandt. Diese drei Mitarbeiter waren von Mitte August bis Ende Dezember 2014 kontinuierlich im Nordirak vor Ort und haben Hilfe für die 450.000 Flüchtlinge geleistet, die im Gouvernement Dohuk Zuflucht gesucht haben.

Anfangs haben wir als LWB die Organisationen CAPNI und die Jiyan Foundation bzw. das Kirkuk Center for Torture Victims unterstützt, die bereits vor Ort etabliert waren. Es wurde allerdings schnell offensichtlich, dass eine umfangreichere Nothilfe-Kapazität erforderlich war, um die unglaubliche Not der Menschen zu lindern. Dazu kamen viele Spenden, die es erforderlich gemacht haben, Strukturen für eine schnelle und effiziente Beschaffung und Verteilung von Hilfsgütern zu schaffen. Daher arbeitet der LWB seit Anfang Januar darauf hin, sich selbst registrieren zu lassen und eigene operationelle Strukturen zu schaffen.

Wie hat der LWB geholfen?

Anfangs haben wir die Binnenvertriebenen vor allem mit Nahrungsmitteln und Hilfsgütern wie Decken, Matratzen, Küchenutensilien und Hygienepaketen unterstützt. Wir haben Winterkleidung an Familien und Rollstühle an behinderte Flüchtlinge verteilt. Ausserdem haben wir Bohrlöcher für die Wasserversorgung gegraben und geholfen, die Unterkünfte bewohnbar zu machen. Viele Binnenvertriebene leben nicht in Lagern, sondern haben in den Kommunen Zuflucht gefunden. Sie wohnen oft in Rohbauten oder sehr heruntergekommenen Häusern. Wir haben ihnen Plastikplanen, Holzrahmen, Hämmer und Nägel zur Verfügung gestellt, damit sie die Gebäude gegen den kalten Wind isolieren konnten.

Ausserdem haben wir auch öffentliche Schulen saniert, in denen während der Sommerferien Flüchtlinge untergebracht waren. Darüber hinaus sorgen wir gemeinsam mit dem Kirkuk Center for Torture Victims und der Jiyan Foundation für Beratungsangebote und psychosoziale Betreuung auf der kommunalen Ebene. Bisher haben wir, mit Unterstützung vieler Mitglieder des ACT-Bündnisses, etwa 1 Million USD in die Massnahmen im Irak investiert.

Was waren die grössten Herausforderungen?

Die grösste Herausforderung war die überwältigende Not. Es sind unglaublich viele Menschen auf der Flucht. Die meisten konnten überhaupt nichts mitnehmen, weil ihnen sogar die Koffer weggenommen wurden, als sie ihre Häuser verlassen mussten. Aufgrund der grossen Zahl Notleidender sind auch viele humanitäre Akteure vor Ort. Wir müssen die Arbeit sehr sorgsam koordinieren, um Doppelungen oder Versorgungslöcher zu vermeiden. Dabei arbeiten wir gut mit den Bürgermeisterämtern in den gastgebenden Kommunen zusammen, die diese Dinge höchst zuverlässig vor Ort koordinieren. Der hohe Anteil Vertriebener, die unter den Einheimischen verstreut leben, stellt sogar die Strukturen der Vereinten Nationen vor Herausforderungen.

Wie bewältigen Sie diese Aufgaben?

Der LWB hat einen Finanzierungsaufruf herausgegeben, der auf gute Resonanz gestossen ist. Er wird nun ausgeweitet, um die nötige Unterstützung für das Jahr 2015 zu sichern. Zur Verbesserung der Koordination ist der LWB regelmässig mit den Arbeitsgruppen verschiedener Organisationen im Gespräch. Wir beraten uns auch mit den Behörden vor Ort und unsere Mitarbeitenden führen eigene Erhebungen durch, um zusätzliche Informationen zu sammeln. So versuchen wir, Lücken zu erkennen und die Probleme zu lindern.

Welche Entwicklungen sehen Sie im Irak?

Die Situation in der Stadt Mosul, der Ninive-Ebene und in Sindschar ist weiterhin instabil. Viele Flüchtlinge kommen aus diesen Gebieten. Wir gehen nicht davon aus, dass sie in naher Zukunft nach Hause zurückkehren können.

Die Behörden im irakischen Kurdistan setzen auf eine militärische Lösung. Sie wollen die IS-Miliz durch ihre eigenen Peschmerga-Truppen unter Kontrolle bekommen. Weiteres Konfliktpotenzial birgt die geplante Volksabstimmung über eine Abspaltung Kurdistans vom restlichen Irak, sofern sie tatsächlich durchgeführt wird.

Viele Betroffene wurden nicht direkt angegriffen, sondern sind aus Angst vor einem möglichen Angriff geflohen. Ein Beispiel ist etwa die Stadt Alqosch in der Nähe von Dohuk. Die meisten Flüchtlinge in Dohuk stammen von dort. Manche sind zurückgekehrt, nachdem die kurdische Peschmerga-Armee das Gebiet zurückerobert hatte, aber das ist nur ein kleiner Teil von denen, die nach Dohuk geflohen sind.

Die Grenzgebiete zwischen dem Irak und der autonomen Region Kurdistan scheinen sicher zu sein. Mit Unterstützung der Völkergemeinschaft könnten die Menschen sich dort vielleicht niederlassen. Dementsprechend wird der LWB weiter Unterstützung leisten für die Vertriebenen, für die einheimische Bevölkerung des Gouvernements Dahuk, die sie aufgenommen hat, sowie in den Rückkehrgebieten um Alqosch.

 

LWF / C. Kästner