Unterricht im globalen Dorf
(LWI) – „In den meisten Fällen ist die Maus grün und die Tastatur lila“, erklärt die Lehrerin. 27 Männer und Frauen recken ihren Hals, um an der Rückseite ihres PCs die Anschlüsse zu finden, von denen die junge Frau vor ihnen soeben sprach. Es ist die erste Stunde des Projektes „Informatik, Computer und Technologie“ (ICT) im Flüchtlingslager Ajuong Thok.
Dank der Mittel des Lutherischen Weltbundes (LWB), UNICEF und der Vodafone-Stiftung werden 2000 Schülerinnen und Schüler der Primar- und Sekundarstufe Tablets erhalten, um grundlegende PC-Kenntnisse zu erwerben. Doch bevor die Schüler unterrichtet werden können, müssen die LehrerInnen selber erst lernen, wie man einen PC bedient.
Daher legen die 27 Männer und Frauen nach ihrem Unterricht eine Zusatzschicht ein. Die Gruppe ist gemischt: Es gibt ausgebildete Lehrkräfte und Freiwillige, darunter zwei Frauen. „Ich möchte lernen, wie man einen Computer benutzt, weil man darauf Daten speichern kann“, erklärt Artum Noah Kansal (27). „Da hat man alle Informationen, die man braucht.“
Die Mutter von vier Kindern kommt wie die übrigen Flüchtlinge im Lager aus den Nuba-Bergen. Sie ist nach dem Ausbruch des Konfliktes in der Region Kordofan (Sudan) mit ihrer Familie geflohen. Danach zog sie vom Flüchtlingslager Yida in das Lager Ajuong Thok, weil hier die Schulen umsonst sind.
Strassensperren entgegenwirken
Der LWB ist im Flüchtlingslager von Ajuong Thok als einzige Organisation für die Umsetzung des Bildungsprogramms zuständig, das aus drei Primarschulen, einer Sekundarschule und einem beschleunigten Bildungsprogramm (Accelerated Learning Program, ALP) für ältere Schülerinnen und Schüler der Primarstufe besteht. „Die Schülerinnen und Schüler sind sehr lernbegierig“, erklärt die Teamleiterin Anne Mwaura, „doch haben selbst die Lehrerinnen und Lehrer keinerlei Computerkenntnisse“. Als die Vodafone-Stiftung zum Erlernen von PC-Kenntnissen Tablets zur Verfügung stellte, zeigte sich, dass erst die Lehrkräfte selbst ausgebildet werden mussten. Die erste Gruppe besteht aus 150 Lehrkräften und SchulabgängerInnen.
„Wir möchten lernen, wie man das Internet benutzt“, erklärt Mati Amin Kadam (26). Er unterrichtet an der Napata-Grundschule, die wie die Soba-Sekundarschule seit ein paar Monaten einen Internet-Anschluss besitzt.
„Wir nähern uns dem globalen Dorf“, erklärt die Teamleiterin in Ajuong Thok, Anne Mwaura. „Wenn wir den Schülerinnen und Schülern im Camp Computerkenntnisse vermitteln, helfen wir ihnen, mit dem Rest der Welt aufzuholen“. Auf rein praktischer Ebene haben sie dadurch ausserdem die Möglichkeit, mit ihren Angehörigen, die in anderen Flüchtlingslagern leben oder im Ausland aufgenommen wurden, in Kontakt zu bleiben.
Mwaura hofft, dass die Lehrkräfte das Internet auch einsetzen, um das Unterrichtsniveau zu verbessern. „Die grösste Herausforderung im Südsudan besteht darin, dass es nicht genug Lehrmaterial gibt“, erklärt Mwaura. „Online hingegen findet man gutes Unterrichtsmaterial. Dort können sich unsere Lehrkräfte Fallstudien und andere Lernhilfen beschaffen.“
Da Konflikte oder Überschwemmungen in der Regenzeit den Transport von Gütern über die Stassen oft unmöglich machen, ist Schulmaterial Mangelware. Das Internet könnte den Flüchtlingen in Ajuong Thok helfen, die häufig durch Strassensperren verursachten Verzögerungen der Hilfsgüterlieferungen zu überbrücken.
Fernlernprogramme
Doch Mati Kadam denkt nicht nur an seine Schülerinnen und Schüler. Er hofft, wie viele andere auch, sich mit Hilfe von Fernstudium-Angeboten selbst weiterzubilden. „Ich würde gerne die Universität abschliessen und Management studieren“, erklärt er. Sein Kollege Abass Jalhalla Koriss hat vor, sich mit einem Fernstudium als Lehrer weiterzuqualifizieren.
Eine tertiäre Bildungsebene anbieten zu können ist auch der Traum von LWB-Team-Leiterin Anne Mwaura. „Die Bildungsmöglichkeiten sind die Hauptanziehungskraft des Camps in Ajuong Thok“, erklärt sie. Die Schulen in Ajuong Thok sind überfüllt. Vor kurzem hat die erste Gruppe die Abschlussprüfungen der Primarstufe abgelegt und kann nun in die Sekundarstufe wechseln. Demnächst werden auch die ersten Schülerinnen und Schüler die Sekundarstufe abgeschlossen haben.
Für den tertiären Bildungsweg hofft Mwaura beispielsweise, mit der Universität in Juba ein Fernstudium anbieten zu können, und auf lange Sicht möchte sie für verschiedene Studiengänge mit anderen Einrichtungen zusammenarbeiten. „Das wäre die einzige in diesem Bundesstaat existierende tertiäre Bildungsmöglichkeit“, erklärt sie.