Palästina: Gendergerechtigkeit ist zentraler Aspekt unseres Glaubens

Ranan Issa, Direktorin der Abteilung für Gendergerechtigkeit der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Jordanien und im Heiligen Land, erzählt von ihrem leidenschaftlichen Engagement für die Förderung von Frauenrechten und Frauen in Führungspositionen in der Kirche und darüber hinaus.

14 März 2025
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Ranan Issa, Direktorin der Abteilung für Gendergerechtigkeit der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Jordanien und im Heiligen Land. Foto: ACT/Simon Chambers

Ranan Issa, Direktorin der Abteilung für Gendergerechtigkeit der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Jordanien und im Heiligen Land. Foto: ACT/Simon Chambers

Ranan Issa aus Jerusalem über ihre Arbeit zur Förderung von Frauenrechten 

(LWI) – Die Evangelisch-Lutherische Kirche in Jordanien und im Heiligen Land (ELKJHL) sticht in einer Region, die von stark patriarchalischen Kulturen und Traditionen geprägt ist, in jeder Hinsicht als leuchtendes Beispiel für den Einsatz für Frauenrechte und die Zurüstung von Frauen zu mehr Selbstbestimmung heraus. 

In einem Land, in dem jede Religionsgemeinschaft eine eigene Rechtsordnung hat, hat die lutherische Kirche vor zehn Jahren ein neues Familienrecht von historischer Bedeutung angenommen, das Frauen und Männern gleiche Rechte und Pflichten beispielsweise in Bezug auf Erbschaft, Unterhalt, Sorgerecht und Scheidungsrecht garantiert und damit die Würde beider Partner achtet. 

Im gleichen Jahr wurde die lutherische Anwältin Scarlet Bishara zur ersten weiblichen Richterin im Nahen Osten an einem Kirchengericht ernannt. 2023 wurde Pfarrerin Sally Azar als erste Palästinenserin in das Pfarramt ordiniert – ein weiteres deutlich sichtbares Zeugnis für die Tatsache, dass Männer und Frauen gleichermaßen dazu berufen sind, in Kirche und Gesellschaft zu predigen, zu lehren und Führungsrollen zu übernehmen. 

„Diese Frauen sind Vorbilder für mich“, erzählt Ranan Issa, die Direktorin der Abteilung für Gendergerechtigkeit der ELKJHL und ein Mitglied der Delegation des Lutherischen Weltbundes (LWB) bei der 69. Kommission für die Rechtsstellung der Frau (CSW), die derzeit bei den Vereinten Nationen in New York tagt. Trotz eines vollen Terminkalenders mit vielen Präsentationen und Diskussionsrunden hat sie sich Zeit für ein Interview genommen und erzählt im Folgenden von ihrem leidenschaftlichen Engagement, die Arbeit anderer Pionierinnen in ihrer Kirche fortzuführen. 

Mögen Sie uns zu Beginn etwas über Ihre Familie und Ihre Verbindung mit der Kirche erzählen? 

Ich bin eine sehr stolze Lutheranerin, denn schon seit meiner Kindheit ist unsere Kirche für mich immer ein Ort des transformierenden Wandels gewesen. In meiner Kindheit war meine Mutter mein größtes Vorbild. Sie setzte sich dafür ein, dass junge Menschen für die politische Fürsprachearbeit für positiven Wandel zugerüstet würden. Ich habe sie Reden bei Konferenzen halten hören und ich glaube, ich wollte immer einfach nur sein wie sie. Wenn ich hier heute also bei den Vereinten Nationen spreche, habe ich das Gefühl, mir einen Traum zu erfüllen. 

Ihr Ehemann ist ebenfalls Mitglied der lutherischen Kirche geworden, nicht wahr? 

Ganz genau. In unserer Kultur ist es eigentlich üblich, dass eine Frau bei der Hochzeit die Religion ihres Mannes annimmt. Mein Mann stammt aus einer griechisch-orthodoxen Kirche, aber als ich ihm von der großartigen Arbeit unserer Kirche erzählte und warum ich unsere Kinder gerne lutherisch erziehen würde, war er einverstanden, und so wurde unserer Sohn in unserer Kirche getauft. 

Wann haben Sie angefangen, für die Kirche arbeiten? 

2018 nahm ich eine Teilzeitstelle als Mitarbeiterin im Frauenreferat an, wie es damals hieß. Es war das gleiche Jahr, in dem auch unser Bischof Sani Azar seine Amtszeit antrat, und er wollte das Engagement der Kirche für Frauen ausbauen. Ich bin sehr dankbar, dass er mein Potenzial erkannte und es mir ermöglichte, die Fähigkeiten zu entwickeln, die ich heute einsetze. 

2019 haben wir unsere erste Konferenz veranstaltet, zu der wir christliche und muslimische Gläubige einluden, um über Gendergerechtigkeit aus religiöser Perspektive zu sprechen. Wir hatten erkannt, dass wir mit ähnlichen Herausforderungen konfrontiert waren und dass es wichtig war, zusammenzuarbeiten. Nach dieser Veranstaltung erhielten wir Finanzmittel, um unsere Arbeit auszuweiten, Beweise zu sammeln und Schulungen und Advocacy durchzuführen. Ich stieg von einer einfachen Mitarbeiterin zur Koordinatorin und dann zur Programmmanagerin und schließlich zur Direktorin der Abteilung für Gendergerechtigkeit auf. 

Sie haben die großen Fortschritte in den letzten zehn Jahren miterlebt. Können Sie sich noch an den Moment erinnern, als das neue Familienrecht der Kirche offiziell beschlossen wurde? 

Ja! Ich war damals 25 Jahre alt und ich war so stolz darauf, was Frauen in meiner Kirche erreicht hatten und wie engagiert und entschlossen sie dafür eingetreten waren, dass dieses neue Familienrecht beschlossen würde. Ich erinnere mich an die Bilder, auf denen sich diese Frauen in den Armen liegen, um ihren Sieg zu feiern, und das war auch der Moment, in dem ich beschloss, dass ich bleiben und in der Kirche arbeiten wolle. 

Seitdem hat es die ersten Richterinnen an Kirchengerichten gegeben und die erste weibliche Pastorin in Palästina – was kommt als nächstes? 

Gerechtigkeit ist niemals eine einmalige Errungenschaft, daher beschäftigen wir uns jetzt, zehn Jahre nach seiner Verabschiedung, noch einmal mit dem Gesetz und überlegen, wie wir es noch besser machen können. Welche Lücken gibt es immer noch? Wo können wir Frauen noch besser schützen und wo können wir ihnen einen einfacheren Zugang zu Gerechtigkeit ermöglichen? Wir beschäftigen uns mit „E-Gerechtigkeit“, wie wir es nennen, und wie wir Zugang zu mehr eServices ermöglichen können. 

Gesetze zu verändern, kann einfacher sein, als die Kultur zu verändern – was tun Sie, um sicherzustellen, dass die Arbeit auch in Bevölkerungsgruppen ankommt, in denen eher traditionelle Haltungen vorherrschen? 

Es braucht Zeit, diese Veränderungen zu akzeptieren – vor allem bei den älteren Generationen. Wir bringen die Saat aus, aber wir beobachten auch schon, dass einige der Früchte wirken. Ich habe die Mitarbeitenden in allen Abteilungen, in Bildung, Buchhaltung und Umweltarbeit, umfassend geschult und erklärt, warum Gendergerechtigkeit ein zentraler Bestandteil aller unserer Programme sein muss. 

Eine weitere wichtige Möglichkeit ist, sichere Orte für Austausch zu schaffen, wo Menschen ihre Zweifel und Fragen äußern dürfen. Manchmal stehen Menschen auf und sagen, dass das, was wir tun, der Bibel widerspricht. Ich freue mich immer über diese Gelegenheiten, darüber zu sprechen, dass die Bibel Grundlage für alles ist, was wir tun. Das war besonders wichtig, als Pfarrerin Sally als erste Frau in das Pfarramt ordiniert wurde: Wir sind eine kleine Kirche und viele unserer Mitarbeitenden sind keine lutherischen Gläubigen, daher mussten wir ihnen die Mittel an die Hand geben, unsere Haltung aus biblischer Sicht zu verteidigen. 

Wir haben zusammen mit unserem Theologen und Pastor Dr. Isaac Munther daran gearbeitet, ein Buch über Frauen in kirchlichen Führungspositionen zu schreiben, das dann in unseren Advocacy-Kampagnen und im Rahmen der Beratungen „Sicherer Dialog“ zum Einsatz kam. Es liefert lutherisch-theologisch fundierte Argumente für die Ordination von Frauen, um der Kritik daran zu begegnen und für eine Gleichstellung der Geschlechter in unseren Glaubensinstitutionen einzutreten. 

Haben Sie mit Widerstand aus anderen Kirchen und Glaubensgemeinschaften zu kämpfen? 

Unser Bischof steht voll und ganz hinter unserem Engagement für Gendergerechtigkeit, und das ist sehr wichtig. Immer wenn wir Besuch von Pastorinnen aus anderen Ländern haben, gibt er anderen Kirchenleitenden die Gelegenheit, sie kennenzulernen und sich ihre Sichtweisen anzuhören. Insgesamt begegnen sich die Menschen mit Respekt und sie nehmen die Führungsfunktion von Pfarrerin Sally an. In unseren Augen ist die Inklusion von Frauen in Führungspositionen ein gutes Beispiel dafür, dass sich Kirchen und religiöse Institutionen weiterentwickeln und wachsen und gleichzeitig ihren Glaubensüberzeugungen treu bleiben können. 

Wer oder was inspiriert Sie in dieser Arbeit am meisten? 

Richterin Scarlet war meine Mentorin und mein Vorbild. Als ich begann, in der ELKJHL zu arbeiten, machte sie mir immer wieder Mut auf meinem eigenen Weg. Das inspirierte mich dann wiederum, mehr junge Führungspersonen zuzurüsten, Botschafterinnen und Botschafter des Wandels in der Kirche zu sein. Außerdem schaue ich meinen jetzt zweijährigen Sohn an und möchte, dass auch er dieses Engagement für Gleichberechtigung und Gerechtigkeit später einmal unterstützt. 

Was bedeutet es für Sie und Ihre Arbeit, Teil der weltweiten Gemeinschaft von Kirchen zu sein? 

Das „Grundsatzpapier: Gendergerechtigkeit im LWB“ war ein entscheidender Faktor für unsere Erfolge. 2013, dem Jahr also, in dem das Grundsatzpapier verabschiedet wurde, haben wir einen Workshop veranstaltet, um die arabische Übersetzung offiziell vorzustellen, und viele Menschen in unserer Kirche hörten damals zum ersten Mal auf strukturierte Art und Weise von dem Thema. 

Die Diskussionen nach der Vorstellung haben mir die Augen geöffnet, weil Frauen wirklich schwierige Fragen zu den Themen Ungerechtigkeit und der mangelnden Vertretung von Frauen in der Kirche stellten. Das hat den Stein ins Rollen gebracht, weil es die Frage nach der Gerechtigkeit für Frauen auf eine Art und Weise aufs Tapet brachte, die wir nicht ignorieren konnten. Selbst bei großem Widerstand konnten wir das Grundsatzpapier des LWB nutzen, um zu zeigen, dass Gendergerechtigkeit ein zentrales Element unseres Glaubens ist, und das Fairness und Würde Werte sind, die fest in unseren Glaubensüberzeugungen verwurzelt sind. 

LWB/P. Hitchen