
Pfarrer Michael Jonas leitet den Gottesdienst in der evangelisch-lutherischen Gemeinde in Rom. Foto: Privat
Lutheranerinnen und Lutheraner waren bei der Wahl von Papst Leo auf dem Petersplatz dabei und äußerten ihre Hoffnung auf Fortschritte im ökumenischen Miteinander
(LWI) – Martin Luther und der neue Papst Leo XIV. wurden beide in der augustinischen Glaubenstradition geprägt. Das weckt unter Lutheranerinnen und Lutheranern in Italien neue Hoffnung, dass dieses Pontifikat die Beziehungen zur römisch-katholischen Kirche stärken und „ein neues Kapitel der gemeinsamen Geschichte“ beginnen könnte.
Am ersten Sonntag nach der Wahl von Kardinal Robert Prevost durch das Konklave im Vatikan kamen die Gemeindeglieder der Christuskirche in Rom zusammen, um während des regulären Morgengottesdienstes für sein Amt zu beten. Anschließend versammelten sie sich im Garten hinter der neoromanischen Kirche mit ihrem prachtvollen, mit Marmor und Mosaiken geschmückten Innenraum, um auf den ersten in den USA geborenen Papst anzustoßen und sich über die Hoffnungen für die Ökumene auszutauschen, die sie mit seinem Pontifikat verbinden.
„Als ich den Namen des neuen Papstes hörte, war ich erst einmal überrascht. Aber seine ersten Worte, in denen er sich auf Christus als Quelle des Friedens bezogen hat, haben mich tief berührt,“ sagte Pfarrer Michael Jonas, der die evangelisch-lutherische Kirchengemeinde in Rom leitet. „Am Nachmittag [des 8. Mai] war ich bei einer Konferenz mit anderen Religionslehrkräften, aber danach lief ich direkt zum Petersplatz und konnte miterleben, wie der Papst auf dem Balkon des Petersdoms erschien,“ erzählte er.
Ich denke, die gemeinsame Theologie der Gnade Gottes könnte eine solide Basis und ein sehr gutes Vorzeichen für unsere nächsten ökumenischen Schritte sein.
Pfarrer Michael Jonas, Lutherische Gemeinde Rom
„Als ich ihn sagen hörte: ‚Ich bin ein Sohn des heiligen Augustinus, ein Augustiner ‘ – da war mein erster Gedanke, dass dies auch Luthers theologische Heimat ist,“ so Jonas weiter. „Ich habe gehört, dass er Deutsch gelernt hat, um Luthers Schriften zu lesen. Ich denke, dass diese gemeinsame Theologie der Gnade Gottes eine solide Basis und ein sehr gutes Vorzeichen für unsere nächsten ökumenischen Schritte sein könnte.“
Auf dem Petersplatz waren an diesem Abend auch die Studentin Viktoria Losch, die als Freiwillige in der Christuskirchengemeinde tätig ist, und ihre Freundin Marie Luther, ehrenamtliche Mitarbeiterin bei Mediterranean Hope, einem Projekt der Föderation Evangelischer Kirchen in Italien zur Unterstützung von Migrantinnen und Migranten sowie Asylsuchenden. Losch, die seit acht Monaten in Rom lebt, sagte, es sei „wirklich aufregend gewesen, Teil eines solch historischen Ereignisses zu sein“ – zusammen mit geschätzt 100.000 weiteren Menschen, die sich auf dem Petersplatz und in den umliegenden Straßen drängten.
„Wir waren schon am Tag zuvor auf dem Platz und haben auch den schwarzen Rauch an diesem Abend gesehen,“ erzählte Losch. „Über den neuen Papst weiß ich nicht viel, aber ich weiß, dass die Besuche seiner Vorgänger in unserer lutherischen Kirche sehr wichtige Ereignisse waren. Deshalb hoffe ich, dass wir gute Beziehungen zu Papst Leo aufbauen und auch ihn einladen können, uns zu besuchen,“ fügte sie hinzu.

Der neu gewählte Papst Leo XIV. grüßt die Gläubigen vom Balkon des Petersdoms. Foto: CatholicPressPhoto/A. Giuliani
Papstbesuche in der lutherischen Kirche in Rom
Professor Thomas Wolfram, Vorsitzender des Gemeindevorstands der Christuskirche, erinnert sich gut an die Besuche von Papst Benedikt im Jahr 2010 und von Papst Franziskus im Jahr 2015. [Auch Papst Johannes Paul II. besuchte die Kirche im Jahr 1983 anlässlich des 500. Geburtstags Martin Luthers]. Wolfram, Chirurg und ehemaliger Leiter der orthopädischen Abteilung des Hamburger Universitätsklinikums, lebt seit 35 Jahren in Rom. Er betonte die große Bedeutung dieser Besuche des Bischofs von Rom für die Annäherung zwischen den lutherischen und katholischen Glaubensgemeinschaften.
„Wenn ich an den Besuch von Franziskus in unserer Gemeinde zurückdenke, erinnere ich mich am eindrücklichsten an seine Herzlichkeit, seine Schlichtheit. Er hielt keine Predigt, sondern unterhielt sich einfach mit uns und überreichte uns Geschenke von hoher symbolischer Bedeutung: einen Abendmahlskelch und eine Patene,“ erzählte er. „Ich denke, dass der neue Papst sehr international ausgerichtet ist und einen neuen Geist mitbringt, der schon in seiner ersten Rede spürbar geworden ist. Er ist ein moderner Mann, er treibt auch gerne Sport – also kann er vielleicht Neues auf den Weg bringen. Gleichzeitig denke und hoffe ich aber auch, dass er den Weg von Franziskus weitergehen wird,“ fügte Wolfram hinzu.
Ein weiteres Gemeindeglied, das bei den beiden vorangegangenen Papstbesuchen dabei war, ist Heike Vesper aus Sachsen. Sie ist Mitglied der ökumenischen Fokolar-Bewegung und lebt im Internationalen Zentrum der Gemeinschaft in den Hügeln außerhalb Roms. „Wir waren sehr froh und überrascht über die schnelle Entscheidung des Konklaves. So wurde deutlich, dass die Kardinäle trotz ihrer vielen verschiedenen Nationalitäten in der Ausrichtung der Kirche geeint sind – ein wichtiges Zeichen der Einheit in der Welt von heute,“ sagte sie.
Können wir ein neues Kapitel der Geschichte zu schreiben und Brücken der Versöhnung zwischen unseren beiden Gemeinschaften bauen?
Heike Vesper, Mitglied der Gemeinde der Christuskirche und der Focolare-Bewegung
Vesper wies darauf hin, dass ein früherer Papst Leo [Papst Leo X.] für Luthers Exkommunikation aus der römisch-katholischen Kirche im Jahr 1520 verantwortlich war. „Doch jetzt haben wir einen neuen Papst Leo, der wie Martin Luther aus der augustinischen Tradition kommt. Wer weiß, vielleicht kann die Geschichte uns ja dabei helfen, anhand dieser Parallelen ein neues Kapitel der Geschichte zu schreiben und Brücken der Versöhnung zwischen unseren beiden Gemeinschaften zu bauen,“ fuhr sie fort.
Nach Vespers Auffassung könnte die Namenswahl Leos auch bei den Pfingstgemeinden Anklang finden, die sich noch gut daran erinnern, wie Papst Leo XIII. zu Beginn des 20. Jahrhunderts das neue Jahrhundert dem Heiligen Geist anvertraute. „In Rom begegne ich Mitgliedern von Pfingstkirchen, die zum Gebet ans Grab dieses früheren Papstes Leo kommen. Er war auch für sein Engagement für soziale Gerechtigkeit bekannt, was ja auch für sie ein wichtiges Thema ist“, sagte sie.
„Es hat mich sehr gefreut, dass der neue Papst gleich mit seinen ersten Worten den Frieden und das Brückenbauen angesprochen hat“, erzählt Vesper. „Es hat mich berührt, dass er auf Spanisch und Italienisch gesprochen hat. Dadurch wirkte er eher peruanisch als amerikanisch auf mich“, sagte sie mit Blick auf die zwei Jahrzehnte, die der neue Papst als Bischof in Peru verbracht hat. „Er hat einen ausgeprägten missionarischen Geist, eine klare Spiritualität, bei der Gott im Zentrum steht und nicht die Doktrin, und er verfügt über große pastorale Erfahrung aus seiner Zeit in Peru. Das ist ein sehr gutes Zeichen, denn für den ökumenischen Dialog braucht es eine starke pastorale Kompetenz ebenso wie eine fundierte theologische Ausbildung“, schloss sie.