Ein Gespräch mit Klimazeuginnen und -zeugen auf dem Kirchentag

Was bedeutet es für die Menschen und ihre Existenzgrundlagen, wenn der Klimawandel die Weltregionen, in denen sie leben, unbewohnbar macht? Und was bedeutet es für die Lebensweisen jener Menschen, die vielleicht nicht so unmittelbar betroffen sind? Eine Podiumsdiskussion beim Kirchentag in Hannover beschäftigte sich mit Klimawandel und Klimagerechtigkeit.

07 Mai 2025
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Podiumsdiskussion „Wenn die Heimat unbewohnbar wird – Ein Gespräch mit Klimazeugen“ beim Kirchentag in Hannover: (v. l.) Tobias Goldschmidt, Hamira Kobusingye, Isaiah Toroitich, Mithika Mwenda und Kristina Kühnbaum-Schmidt. Foto: LWB/A. Weyermüller

Podiumsdiskussion „Wenn die Heimat unbewohnbar wird – Ein Gespräch mit Klimazeugen“ beim Kirchentag in Hannover: (v. l.) Tobias Goldschmidt, Hamira Kobusingye, Isaiah Toroitich, Mithika Mwenda und Kristina Kühnbaum-Schmidt. Foto: LWB/A. Weyermüller

„Die weltweite Klimakrise betrifft uns alle“

(LWI) – Eine der Veranstaltungen, die sich im Rahmen des 39. Deutschen Evangelischen Kirchentags in Hannover, Deutschland, mit internationaler Politik beschäftigten, war die Podiumsdiskussion zum Thema „Wenn die Heimat unbewohnbar wird – Ein Gespräch mit Klimazeug*innen“. Die Moderation der Veranstaltung, die von einer langjährigen Partnerorganisation des LWB in Deutschland, der Entwicklungshilfeorganisation Brot für die Welt, organisiert worden war, hatte Isaiah Toroitich übernommen, der Leiter des Referats für globale Advocacyarbeit beim Lutherischen Weltbund (LWB).

Der globale Süden wurde auf dem Podium von Dr. Mithika Mwenda, Exekutivdirektor des panafrikanischen Bündnisses für Klimagerechtigkeit „Pan African Climate Justice Alliance“ (PACJA), aus Kenia, und Hamira Kobusingye, Gründerin der Organisation Climate Justice Africa (Klimagerechtigkeit Afrika), aus Uganda vertreten.

Tobias Goldschmidt, der Minister für Energiewende, Klimaschutz, Umwelt und Natur des Landes Schleswig-Holstein, Deutschland, präsentierte Sichtweisen aus dem globalen Norden.

Landesbischöfin Kristina Kühnbaum-Schmidt von der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Norddeutschland und LWB-Vizepräsidentin für die Region Mittel- und Westeuropa, steuerte theologische Überlegungen zur Bewahrung der Schöpfung und Klimagerechtigkeit bei. 

Migration, Fachkräftemangel und Klimapolitik ganzheitlich betrachten

Vor der Podiumsdiskussion hielt Dr. Kira Vinke, die Leiterin des Zentrums für Klima und Außenpolitik der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik (DGAP), einen Impulsvortrag.

Sie unterstrich die Zusammenhänge zwischen Klimawandel, Migration und der zunehmenden Unbewohnbarkeit bestimmter Weltregionen. Sie zeigte auf, dass Umweltveränderungen wie extreme Wetterereignisse, steigende Meeresspiegel und Ressourcenverknappung Auswirkungen auf Migrationsentscheidungen hätten und dass auch politische, gesellschaftliche und wirtschaftliche Faktoren eine Rolle spielten.

Schließlich betonte sie, dass Migration, Fachkräftemangel und Klimapolitik ganzheitlich betrachtet werden müssten, um nachhaltige Lösungen wie die gezielte Zuwanderung von qualifizierten Arbeitskräften und Fachkräften aus Ländern mit hohen Klimarisiken zu fördern.

Vinke legte wissenschaftliche Daten von UNICEF vor, die belegen, dass zwischen 2016 und 2021 rund 134,1 Millionen Menschen – davon etwa ein Drittel Kinder – durch Stürme, Überschwemmungen, Dürren und Waldbrände aus ihrer Heimat vertrieben wurden.

Statistiken der Hauptabteilung Wirtschaftliche und Soziale Angelegenheiten der Vereinten Nationen (UN DESA), die Vinke ebenfalls vorlegte, zeigen, dass die Länder, in denen die heute 25-Jährigen die größte so genannten „geerbte Kohlenstoffschuld“ auf ihren Schultern tragen, die USA, das Vereinigte Königreich, Deutschland, die Tschechische Republik und die Slowakei sind.

Klimazeugnisse aus dem globalen Süden

„Für uns ist die Klimakrise schon jetzt Realität und kein Problem der Zukunft“, erklärte Mwenda. Er habe erlebt, wie der Fluss, auf den er und die anderen Menschen in seinem Gemeinwesen sich für die tagtägliche Versorgung mit Wasser verlassen hatten und in dem er als Jugendlicher geangelt hat, ausgetrocknet ist. „Regenzeiten sind unregelmäßig und unzuverlässig geworden“, berichtet er, was insbesondere in ländlichen Gebieten zu Ernährungsunsicherheit führe. Und das befördere Migration und Binnenvertreibung. Frauen, die oftmals für die Bewirtschaftung des Landes zuständig sind, seien am häufigsten betroffen, genau wie ihre Familien, die für die eigene Ernährung und als Einkommensquelle auf die landwirtschaftlichen Produkte angewiesen seien.

Mwenda zog die Titanic als Metapher heran und erklärte, dass das Leben der Menschen auf den oberen Decks genauso in Gefahr sei, wenn das Schiff sinke, wie das Leben der Menschen auf den weiter unten gelegenen Decks. „Die weltweite Klimakrise betrifft uns alle“, sagte er. Er rief zu verbindlichen politischen Maßnahmen und rechtlichen Rahmenbedingungen zur Sicherstellung ausreichender Finanzmittel und konkreter Maßnahmen für Klimaanpassung und die Abmilderung des Klimawandels auf.

Die Klimaaktivistin Kobusingye erinnerte die Zuhörenden, dass „Afrika für weniger als fünf Prozent der CO2-Emissionen verantwortlich ist, aber stark unter den Auswirkungen des Klimawandels zu leiden hat“. Klimagerechtigkeit bedeute deshalb, dass die Industrieländer Hand in Hand mit den betroffenen Ländern und Menschen stehen müssten. Sie rief die Regierungen von Deutschland und anderen Industrieländern auf, die Zusagen einzulösen, die sie auf den Klimakonferenzen wie der COP gemacht hätten, Klimaentschädigungen an die Betroffenen zu zahlen und die Weiterentwicklung von erneuerbaren Energien zu fördern.

Kobusingye hob die sozioökonomischen Auswirkungen des Klimawandels auf vulnerable Gemeinschaften hervor und betonte, dass sich die Lage in Bezug auf Menschenrechte sowie Frauen- und Kinderrechte verschlechtere. Sie unterstrich zudem, dass nicht nur den nationalen Regierungen, sondern auch lokalen Gemeinschaften und Gemeinwesen Finanzmittel für Klimaschutz zur Verfügung gestellt werden sollten, weil diese am besten Lösungen für die jeweiligen Herausforderungen und Probleme kennen würden.

Klimazeugnis aus dem globalen Norden

Minister Goldschmidt skizzierte die Klimaschutz- und Klimaanpassungsmaßnahmen, die das Bundesland Schleswig-Holstein angesichts der Auswirkungen des Klimawandels im Norden Deutschlands unternehme. „Der Meeresspiegel ist bereits um etwa 20 cm gestiegen und Schleswig-Holstein hat rund 1.000 km Küste, die wir mit Deichen schützen müssen“, erklärte er. Weil ein angemessener Deich etwa 10 Millionen Euro pro Kilometer koste, „steht dieses Geld dann für andere Maßnahmen nicht zur Verfügung“.

In seinem eigenen Lebenskontext erlebe er weit verbreitet einen großen Widerwillen und ein Zögern, sich im Kampf gegen den Klimawandel zu engagieren. Die Menschen würden vielmehr argumentieren, dass Deutschland „nur“ für zwei Prozent der derzeitigen CO2-Emissionen verantwortlich sei und dass andere Länder mit höheren Emissionen, wie die USA und China, eine führende Rolle im Klimaschutz übernehmen müssten.

Goldschmidt griff das Thema des Kirchentags – „mutig. stark. beherzt“ – auf und erklärte, dass es dringend notwendig sei, gegenüber den Mächtigen und dem Wahlvolk für die Wahrheit einzutreten. „Die Menschen in Industrieländern wie Deutschland müssen verstehen, dass der Kampf gegen den Klimawandel und das Engagement für Klimagerechtigkeit auf globaler Ebene auch für ihr Wohlergehen wichtig sind.“ Er rief die neue deutsche Bundesregierung auf, die ehrgeizigen Ziele für den Klimaschutz nicht zurückzuschrauben.

Landesbischöfin Kühnbaum-Schmidt berichtete, dass Klimawandel und Klimagerechtigkeit im deutschen Kontext „in jüngster Zeit etwas in den Hintergrund getreten“ seien und Themen wie der Krieg in der Ukraine und Migration die politischen Debatten bestimmt hätten. Dennoch seien gläubige Menschen aufgerufen, Verantwortung für die Bewahrung der Schöpfung zu übernehmen.

Sie sagte, dass „nicht alle Menschen das gleiche Maß an Verantwortung tragen“. Da der Wohlstand der Industrienationen historisch gesehen mit ihren Emissionsraten gestiegen sei, trügen diese Länder Kühnbaum-Schmidts Überzeugung nach eine größere Verantwortung für den Klimaschutz.

Kühnbaum-Schmidt erinnerte die Zuhörenden, dass der Erdüberlastungstag in Deutschland 2025 bereits am 3. Mai sei. „Wenn wir so weitermachen, bräuchten wir drei Erden für unseren Lebensstil“, sagte sie.

Die Landesbischöfin betonte, wie wichtig es sei, dem Klimazeugnis der Menschen aus vulnerablen Gemeinwesen aufmerksam zuzuhören und Bewusstsein zu schaffen für die engen Verbindungen zwischen Klimawandel und zahlreichen anderen Themen, die Auswirkungen auf die Gesundheit, das soziale Wohlergehen und den Wohlstand aller Menschen haben. „Im LWB haben wir zwei Mottos, die das sehr gut auf den Punkt bringen“, sagte sie: „Menschen – für Geld nicht zu haben, und Schöpfung – für Geld nicht zu haben“.

LWB/A. Weyermüller